Warum die Gastronomie dauerhafte Mehrwertsteuersenkungen braucht | SUSHIYA sansaro

Warum die Gastronomie dauerhafte Mehrwertsteuersenkungen braucht

Erfreulicherweise wird in der Corona-Krise nun auch die Diskussion um die Mehrwertsteuer neu angestossen, die bereit seit vielen Jahren “auf der Agenda” der Gastronomie steht. Hierzu gibt es unterschiedlichste Meinungen, die überwiegend alle gut gemeint sind, teilweise aber auch uninformiert sind oder nur verschiedene Teilbereiche der sehr vielfältigen Gastronomie abdecken. Aufgrund eines Kommentars in der Süddeutschen Zeitung und eines Videobeitrags von quer – beides von uns sehr geschätzte Medien – hier ein Kommentar von uns zu diesem Thema.

Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie die Petition der DEHOGA unterstützten, denn langfristig ist die Frage der Mehrwersteuer in der Gastronomie ein Make-it-or-break-it für eine gute, individuelle Gastronomie.

KOMMENTAR ZUR MEHRTSTEUERDISKUSSION IN DER GASTRONOMIE WÄHREND CORONA VON ALEXANDER REINELT, MÜNCHEN

Die Meinung am Mittag „Die Forderungen des Hotel- und Gastgewerbes gehen zu weit“ von Frau Gammelin vom 20. April 2020 finde ich schmerzhaft uninformiert und gefährlich kurzsichtig.
Wer heute in der Gastronomie nicht auf gnadenlose Kostenoptimierung setzt und seinen Gästen nicht Franchise-Konzepte, Billig-Material oder 08/15 vorsetzt, der hat kaum eine Chance überhaupt zu überleben — auch wenn das Restaurant gut besucht und oft ausgebucht ist. Insbesondere dann, wenn er auch alle Gesetze und Vorschriften erfüllen will. Von Steuer„geschenken“ zu reden, geht an der Realität der meisten Restaurants vorbei.

KAUM EINE BRANCHE WIRD SO SCHARF AUF EINHALTUNG ALLER MÖGLICHEN VORSCHRIFTEN KONTROLLIERT WIE DIE GASTRONOMIE

Gerade in der Gastronomie treffen mit der von früher noch existierenden Vorverurteilung einer vermeintlichen „Steuerhinterziehungsbranche“, der Gesetzgebung zum Mindestlohn (und der damit verbunden Aufzeichnungspflichten zur Arbeitszeit) und dem berechtigten Bedürfnis, sichere Hygienestandards und gesundheitliche Anforderungen für die Bürger einzuhalten, enorm viele Rechtsgebiete aufeinander, die dem Gastronomen eine unvorstellbare Menge an verwaltungstechnischer Arbeit aufladen. Diese Arbeit erhöht den Aufwand für kleine Betriebe extrem — all das ist Arbeitszeit, die auch von jemand geleistet werden muss, der auch bezahlt werden und leben muss. Ganz egal, welche Qualität kulinarisch auf den Tisch kommt und ob man viel Bio oder vergleichbares Material verwendet – oder Convenience-Food von der Stange.

Gleichzeitig erwartet jeder Gast, dass nur er — der Gast im — Fokus des Gastronomen steht, und sich alle Mitarbeiter ununterbrochen nur um das Wohlergehen des Gastes zukümmern haben. Das Verständnis dafür, dass man mit dem Essen- oder Getränkepreis nicht nur die gekauften Waren und einen Service bezahlt, sondern auch einen erheblichen Verwaltungsaufwand, ist gering.

Gerade kleine Betriebe, die darauf setzen, die umfassenden Vorschriften möglichst genau zu erfüllen, um nicht in einen möglicherweise existenzbedrohenden Konflikt mit den Aufsichtsbehörden zu kommen, können trotz 7-Tage-Woche der Verantwortlichen nur ganz schwer überleben. Nie haben wir davon gehört, dass große Firmen wie BMW oder Modefirmen in und um München, wo teilweise massive, unbezahlte Überstunden über Jahre hinweg an der Tagesordnung sind, so scharf kontrolliert werden, wie die Gastronomie oft kontrolliert wird. Aber der Gastronom ist ständig in der Beweispflicht, glaubhafte Arbeitszeitaufzeichnungen nachzuweisen, alle möglichen Vorgänge zu dokumentieren, dabei ständig extrem angreifbar, da viel mit Bargeld gearbeitet wird. Die Liste wird im Detail endlos lange, so dass man sie hier gar nicht beschreiben will – in der Realität ist sie aber genau das, was gefordert ist.

Viele verlieren schlicht die Lust an dieser Arbeit. Denn diesen enormen persönlichen Belastungen steht bei vielen Gastronomen oft keineswegs ein angemessenes Gehalt entgegen, sondern oft nur die Freude an der Arbeit und am Umgang mit den Gästen. Die Realität ist, dass viele Gastronomen bereits vor Corona am Ausbluten waren.

Und dann kommt zum Oktoberfest ein deutscher Banker aus London nach München gejettet und beschwert sich, nachdem er 55 Euro für Essen & Getränke für zwei Personen ausgegeben hat, dass 7,50 Euro für eine Flasche Wasser strafbar (!) sein sollte – alles schon erlebt. Die Wahrnehmung ist, der Wirt würde sich das Geld alles einschieben.

Dass von den netto 6,30 Euro das Wasser, die Miete, Versicherungen, das Personal, dessen Krankenkasse, Urlaub und Mindestlohn bezahlt werden müssen, die Berufsgenossenschaft, die Gema, der Rundfunkservice, die Lohnsteuer und hintendran nochmal gut 1-2 Mitarbeiter nur für die organisatorische Verwaltung, dazu Steuerberater und Lohnbuchhaltung, kommt in der Wahrnehmung des Gastes nicht an. Gastronomie, gerade klein und fein, ist enorm personalintensiv und bisher dramatisch ertragsschwach. Hier davon zu sprechen dass Steuergeschenke an die Gastronomie verteilt werden würden, ist uninformiert und falsch.

RESTAURANTS, DIE NACHHALTIG ARBEITEN, SIND OFT BILANZIELL PROBLEMATISCH UND DAMIT VON AKTUELLEN HILFEN ANSCHEINEND AUSGESCHLOSSEN

Und es geht ja noch weiter: viele der Betriebe, die versuchen, ordentliche Arbeit zu machen, gutes Material zu verwenden, lokale Lieferanten einbinden und den Mitarbeitern auch Work-Life-Balance geben wollen, kämpfen genau aufgrund dieses nachhaltigen Ansatzes ums Überleben und schaffen damit keine positive Bilanz. Hier kommen die aktuellen Hilfsversprechen der Staats- und Bundesregierung nicht an. Wer die letzten drei Bilanzen in Summe nicht positiv war, der bekommt voraussichtlich keinen Hilfskredit. Damit fallen zahllose Betriebe hinten runter, die sich um Qualität und Auflagentreue bemühen, anstatt nur auf Rentabilität zu achten und die Kunden vielleicht mit Billig-Material abzuspeisen. Diese Betriebe leisten aber oft gerade massive Umsatzsteuerzahlungen, beschäftigen korrekt versteuerte und versicherte Mitarbeiter und tragen damit auch zu unserem Sozialsystem bei.
Mit der bisherigen Steuer- und Abgabensituation bestand jedoch für kleine Betriebe kaum eine Chance, Rücklagen zu bilden, weiter in Nachhaltigkeit zu investieren oder unverschuldete Krisen zu überstehen.

LIEFERDIENSTE WENIGER NACHHALTIG, ABER STEUERLICH ERHEBLICH KONKURRENZFÄHIGER

Vollkommen unverständlich wird es dann, wenn wir über den Tellerrand zu den Lieferdiensten blicken: die müssen 12% weniger Mehrwertsteuer abführen für Essen, das meistens mit möglichst einfachem Aufwand, billigem Material und weniger qualifiziertem Personal hergestellt wird.

Ein Lieferdienst beschäftigt üblicherweise viele Aushilfen – ein gutes Restaurant muss sich heutzutage um gute Festanstellungsverhältnisse bemühen, seine Mitarbeiter weiterbilden und steht in den Großstädten oft im internationalen Wettbewerb um Personal oder in Dörfern und auf dem Land in einer verwurzelten, lokalen Tradition. Schon jetzt ist es eine der grössten Herausforderungen, in einer Stadt wie München überhaupt Mitarbeiter zu finden und mit diesen dann Kontinuität aufzubauen.
Und während Corona sehen wir es noch deutlicher: wo wir in unserem Restaurant normalerweise mit schönem Geschirr arbeiten, entstehen in der Lieferdienst-Zeit Unmengen von Papp-, Plastik- und sogar Alu-Abfällen. Steuerlich gegenüber den Restaurants begünstigt, in der Wahrnehmung der Kunden stehen die Preise dann aber in der Konkurrenz zueinander.
Das ist nicht nachhaltig, weder für die Umwelt, noch für die Beschäftigungssituation und schon gar nicht für eine heterogene Landschaft kleiner Betriebe, die ihre jeweilige Region bereichern und selber sehr genau wirtschaften müssen.

CORONA-KRISE ALS CHANGE ZUR VERÄNDERUNG DER WIRTSCHAFTLICHEN GRUNDLAGEN

In Bayern hängen knapp 500.000 Arbeitsplätze ganz direkt an einem gastbewerblichen Betrieb — von den nachgeschalteten, spezialisierten Lieferanten ganz zu schweigen. Knapp 90% dieser Betriebe erwirtschaften pro Jahr weniger als 500.000 Euro – das ist aber nicht Gewinn für den Gastronomen, sondern Umsatz, von dem alle Kosten und Gehälter erst abgezogen werden.

Gastronomie ist Vielfalt und eine kleinteilige, heterogene Gastronomielandschaft tatsächlich auch ein wichtiger regionaler Kultur- und Sozialfaktor. Es gibt auch ein öffentliches Interesse daran, dass diese Restaurant nicht reihenweise pleite gehen, dass nicht wie bisher schon vor Corona jährlich unzählige Gastronomen aufgeben und dass die Gastronomie eine Chance hat, wirtschaftlich zu leben auch wenn sie den Kunden hohe Qualität anbieten will.
Es ist Zeit, den Restaurants, die schon mehrfach und vielfach belastet sind, wieder eine Chance zu geben. Eine langfristige steuerliche Gleichstellung des Restaurant-Essens mit dem Mitnahmeburger bei McDonalds und der Lieferpizza ist überfällig und eine Investition in die Nachhaltigkeit.

Alexander Reinelt ist Geschäftsführer der SUSHIYA GmbH und betreibt seit über zehn Jahren das japanische Restaurant „sansaro“ in München. 

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