Omotenashi - Gastfreundschaft auf Japanisch | SUSHIYA sansaro

Omotenashi – Gastfreundschaft auf Japanisch

Inhaltsverzeichnis
Omotenashi ist die Bezeichnung für eine besondere Form der japanischen Gastfreundschaft, die tief in japanischer Kultur und Philosophie verankert ist. Zwischen Gast und Gastgeber herrscht dabei trotz klarer Rollenverteilung eine grundsätzlich ebenbürtige und von gegenseitigem Respekt geprägte Beziehung. Der Gast wertschätzt die Bemühungen des Gastgebers und der Gastgeber tut alles dafür, dass der Gast sich wohlfühlen kann und eine schöne Erfahrung hat.

Der japanische Begriff Omotenashi (おもてなし) wird meist mit Gastfreundschaft übersetzt. Allerdings wird diese Lesart der Vielschichtigkeit und Tiefe des Begriffes nicht annähernd gerecht. In keiner Sprache findet sich ein wirklich gleichwertiges Pendant zu Omotenashi – was wohl daran liegt, dass Omotenashi für eine Haltung steht, die tief in der japanischen Kultur und Gesellschaft verwurzelt ist und weitaus mehr umfasst als lediglich einen aufmerksamen Kundenservice. 

Am ehesten lässt sich Omotenashi als eine achtsame, engagierte Form der Gastfreundschaft bezeichnen, die von herzlicher Hingabe gegenüber dem Gast oder Kunden geprägt ist und zugleich auf dem gegenseitigen Respekt aller Beteiligten füreinander basiert.

Das Ziel von Omotenashi ist dabei, dass der Gast sich wohl fühlt, umsorgt fühlt und an Details erfreuen kann, die für speziell für ihn berücksichtigt wurden.

Wenn der Pfad zu einem Teehaus oder Restaurant im Sommer mit kühlendem Wasser gesprenkelt ist, hat Omotenashi schon angefangen...

Die Bedeutung des Begriffes Omotenashi

Im Japanischen gibt es gleich zwei Schreibweisen für das Verb „motenasu“ (frühere Schreibweise mottenasu): 以て成すund 持って成す. Das vorangestellte O (お) ist ein Ausdruck der Höflichkeit, der bei vielen japanischen Wörtern an den Anfang gestellt wird. 

Eine adäquate Übersetzung des Begriffes Omotenashi ist nicht leicht zu finden. Denn in der japanischen Sprache können zwei verschiedene Begriffe, die sich durch das verwendete Kanji (ursprünglich chinesische Schriftzeichen) und die Bedeutung unterscheiden, gleich ausgesprochen werden. Somit kann ein Wort, was in der lateinischen Umschrift und auch den Silbenschriftsystemen Hiragana und Katakana exakt gleich geschrieben wird, auf verschiedene Kanji-Schreibweisen und damit eventuell auch verschiedene Bedeutungen zurückgehen.

Etwas erreichen, indem man etwas für andere tut

Einer populären Theorie zufolge taucht der Ausdruck mottenasu (以て成す) bereits im Jahr 604 n. Chr. erstmalig auf, und zwar in der Jyunanajyō-no-Kenpō (17条憲法, 17-Artikel-Verfassung) von Shōtoku Taishi (聖徳太子), einem Prinzen der kaiserlichen Familie und Politiker der Asuka-Zeit. Diese Verfassung gilt als das erste staatsrechtliche Dokument Japans. 

Der erste Artikel beschreibt die Harmonie Wa (和) als höchste Form des Respekts (和を以て尊しと成す- Wa wo motte tōtoshi to nasu). Die Theorie geht davon aus, dass die Bezeichnung für „machen“ (wo motte, を以て) in diesem Artikel zu motte nasu (以て成す) und daraufhin zu mottenasu (以て成す) wurde, was „unterhalten“ bedeutet.

In diesem Sinne bedeutet motenasu, etwas zu erreichen, indem man etwas für andere tut.

Etwas erreichen, indem man auf andere Rücksicht nimmt

Die andere Schreibweise von motenasu setzt sich aus den beiden Kanji für besitzen (持つ motsu) und erreichen (成る naru) zusammen – also etwas zu erreichen, indem man etwas hat. Dabei kann sich dieses „Etwas“ auch auf Immaterielles wie z.B. ein Gefühl beziehen. In diesem Sinne bedeutet Omotenashi, durch bestimmte Gesten und Verhaltensweisen, die von Herzen kommen, anderen gegenüber Wertschätzung und Rücksicht auszudrücken. Man könnte auch sagen, es geht darum, das Herz des anderen elegant zu unterhalten und durch Aufmerksamkeit zu erfreuen. 
Hier findet sich die für die japanische Kultur bekannte Achtsamkeit: Eine Geisteshaltung, für deren Entfaltung es Raum für Leere und Stille bedarf, also jene typischen Merkmale, die sich auch in der traditionellen japanischen Architektur oder Musik wiederfinden.

Omotenashi als Ausdruck von Integrität

Eine weitere Lesung ist „Ura omote nashi“ (裏表なし), was bedeutet, keine Vorderseite (表 omote) und keine Rückseite (裏, ura) zu haben. 

Dieser Ausdruck geht auf das Ritual der japanischen Teezeremonie (茶会, chakai) zurück: Indem der Tee vor den Augen der Gäste zubereitet wird, drückt der Gastgeber aus, dass nichts verborgen ist – es also keine Vorder- und Rückseite gibt – und er aus reinem Herzen handelt. 

In einem übertragenen Sinne steht Omotenashi damit auch nachvollziehbar für eine Geisteshaltung, für die Integrität einer Person, die aus puren und ursprünglichen Motiven heraus handelt – eine bedingungslose Handlung, für die keine Gegenleistung erwartet wird.

Die Wurzeln von Omotenashi

Die Wurzeln von Omotenashi reichen weit in die japanische Geschichte und Kultur zurück. 

Man geht heute davon aus, dass der Ausdruck bereits in der Heian-Zeit (平安時代, Heian-jidai, 794 – 1185) bekannt war und auch in der Geschichte des Prinzen Genji ( 源氏物語 Genji Mongatari), einem herausragenden Roman der japanischen Literaturgeschichte dieser Epoche, erwähnt wurde.    

Der Zen Buddhismus (bukkyo, 禅仏), der ab dem 12. Jahrhundert nach Japan gelangte und dort weiterentwickelt wurde, brachte ein Reihe von Disziplinen hervor, die als Wege (道, Dō) des Zen bekannt wurden, darunter auch der Weg des Tees (茶道 Chadō), die Philosophie der Teezeremonie. Dieses Ritual, auch Cha-no-yu (茶の湯) genannt, wurde im 16. Jahrhundert maßgeblich durch den buddhistischen Mönch Sen-no-Rikyū (千利休) geprägt. 

 

Buddhistische Teezeremonie prägt Omotenashi wesentlich

Der Großmeister des Tees entwickelte feste Regeln für den Ablauf der Teezeremonie, die die japanische Kultur, Gesellschaft und Kunst bis heute beeinflussen. Das Ritual der Teezeremonie gilt auch als die Seele von Omotenashi – einem Mindset, welches den reinen Servicegedanken weit übersteigt. Ein kleiner Ausflug in die Welt der Teezeremonie macht die soziokulturelle Bedeutung von Omotenashi verständlich.

Omotenashi als Geisteshaltung ist heute tief in der japanischen Seele verankert

Ablauf und Bedeutung der Teezeremonie

Bei einer Teezeremonie nehmen sowohl Gastgeber als auch Gäste bestimmte Rollen ein und tragen dadurch gleichermaßen zum Erfolg der Zusammenkunft bei. Das Ziel der Teezeremonie besteht darin, den Gästen besten Tee zu servieren. Doch bevor die Gäste vom Gastgeber die Schale mit grünem Matcha-Tee (濃茶 Koi-cha) gereicht bekommen, haben bereits viele bedeutungsvolle Handlungen stattgefunden. 

Für die Gäste, die in der Regel aus dem Alltag in einer Teezeremonie ankommen, ist der Teeweg ein Weg zur Ruhe und Meditation. 

Beim Gang über einen Gartenpfad (路地 Roji) streifen sie symbolisch die Gedanken und Sorgen des Tages ab und bereiten sich dadurch auf die Teezeremonie vor. Die Reinigung des Mundes und der Hände symbolisiert die Reinigung von Herz und Seele (洗心亭senshintei). 

Obwohl die japanische Gesellschaft grundsätzlich sehr hierarchisch organisiert ist, werden bei der Teezeremonie alle gesellschaftlichen Unterschiede abgelegt – daher betreten alle Gäste einen traditionell ausgestalteten Teeraum (茶室, Chashitsu), indem sie sich auf die Knie niederlassen. 

Dankbarkeit, Demut, Hochachtung und Respekt sind die tragenden Werte einer solchen Zusammenkunft, die nicht nur den Menschen, sondern auch den Teeutensilien gilt, denen eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird.

Vorbereitung der Teezeremonie

Die sorgfältige Vorbereitung einer Teezeremonie durch den Gastgeber kann durchaus mehrere Tage dauern. Geschirr und Dekoration werden sehr bewusst und in Abhängigkeit von der Jahreszeit, dem Zweck der Veranstaltung und den Gästen ausgewählt. 

Auch das Rollbild (掛け物 – Kakemono), welches in einer besonderen Nische des Teehauses, der Tokonoma (床の間) aufgehängt wird, sowie das Arrangement der Blumen (生け花 – Ikebana) werden perfekt auf die Gegebenheiten abgestimmt. 

Trotz aller Perfektion im Detail besteht die Kunst der Teezeremonie in der Einfachheit und Schlichtheit, auf Überflüssiges oder Prunk wird im japanischen Teehaus konsequent verzichtet.

Ein Zitat Rikyūs bringt diese Ästhetik des Schlichten und Unvollendeten auf den Punkt:

„Die Kunst des Tees beherbergt keine Geheimnisse. Es gibt nichts anderes, als das Wasser zu kochen, den Tee zuzubereiten und zu trinken. Das ist alles, was man wissen muss.“

Die sieben Regeln des Rikyū als Essenz von Omotenashi

Auf die Frage, was es mit der Teezeremonie auf sich habe, soll Sen-no-Rikyū mit sieben Regeln (利休七則 – Rikyu-Shichisoku) geantwortet haben, die weit mehr als die Zubereitung von Tee umfassen und die bis heute als die Essenz von Omotenashi gelten:

1. Bereite deinem Gast einen guten Tee zu (茶は服のよき様に- Cha wa fuku no yoki yōni)
Der Tee schmeichelt nicht nur der Zunge, sondern auch dem Herzen. Wenn du etwas tust, berücksichtige auch die Gefühle und Umstände der anderen Person. Dadurch erschaffst du eine Einheit zwischen Gastgeber und Gast.

2. Ordne die Holzkohle so an, dass das Wasser gut kocht (炭は湯の沸くように- Sumi wa yu no waku yōni)
Wenn du ein Feuer entfachen willst, auf dem das Wasser gut kocht, dann musst du die Holzkohle auf die bestmögliche Art und Weise platzieren. Wenn du dich dabei nur an Formalitäten hältst, wird das Feuer nicht entfacht werden. Und selbst wenn das Feuer brennt, muss es auf einer bestimmten Temperatur gehalten werden, damit es nicht erlischt. Mit anderen Worten: Es ist wichtig, die Essenz der Dinge zu verstehen.

3. Kühl im Sommer – warm im Winter (夏は涼しく、冬は暖かく- Natsu wa suzushiku, Fuyu wa atatakaku)
Bei der Teezeremonie ist ein Gespür für die Jahreszeiten wichtig. Bei der Begrüßung sollten wir an das Wohl der Gäste denken und alle fünf Sinne nutzen, um ihren Aufenthalt angenehmer zu gestalten.

4. Blumen sollten wie in freier Wildbahn arrangiert werden (花は野にあるように – Hana wa no ni aruyōni)
Die Schönheit wilder Blumen und die Kostbarkeit des von der Natur geschaffenen Lebens sind in den Blumen, die im Teeraum zur Begrüßung der Gäste angeordnet werden, verinnerlicht. Ihre Schönheit ist nur ein Moment im Leben – das Arrangieren vergänglicher Schönheit ist auch eine Form von Gastfreundschaft.

5. Stelle sicher, dass du ausreichend Zeit hast, um frühzeitig da zu sein (刻限は早めに – Kokugen wa hayameni)
Nimm dir Zeit und respektiere die Zeit. Das bedeutet nicht nur, sich entspannt zu fühlen, sondern auch, die Zeit anderer wertzuschätzen. Nur so können Gastgeber und Gast einander ihr Herz öffnen.

6. Bereite dich auf Regen vor, auch wenn er nicht fällt (降らずとも雨の用意 – Furazutomo ame no you)
Sei sowohl geistig als auch physisch darauf vorbereitet, jederzeit mit Bedacht zu handeln. Ein beweglicher und aufrichtiger Geist ist die Voraussetzung, um auf jede Situation angemessen zu reagieren.

7. Denke an die anderen Gäste (相客に心せよ – Aikyaku ni kokoro seyo)
Bei der Teezeremonie betreten mehrere Personen gleichzeitig den Teeraum, um Tee zu trinken. Daher sollten sich alle, die denselben Raum teilen, sich gegenseitig respektieren und für ein angenehmes Miteinander sorgen. 


Die Stille einer Teezeremonie ist ein Moment, dem Selbst von sich und anderen zu begegnen

Die Tradition lebt bis heute fort

Die japanische Teezeremonie in der Tradition Rikyūs wird bis heute in drei Hauptschulen gelehrt: Urasenke (裏千家 ), Omotosenke (表千家) und Mushakōjisenke (武者小路千家). An speziellen Akademien wie dem Urasenke Tea Ceremony College beschäftigen sich Führungskräfte mit dem Weg des Tees und der Bedeutung von Omotenashi für ihre Führungsaufgabe.

Nur einmal im Leben: Omotenashi und das Konzept des Ichi-go ichi-e

Eng verbunden mit Omotenashi ist der Begriff des Ichi-go ichi-e, wörtlich: „Eine Zeit, ein Treffen“ (一期一会), der ebenfalls dem Teemeister Sen no Rikyū zugeschrieben wird, welcher von einer Chance im Leben (一期に一度 Ichi-go ni ichi-do) spricht. 

Jeder Moment im Leben ist einzigartig und kann nicht wiederholt werden – selbst wenn dieselbe Gruppe von Menschen am selben Ort zusammenkommt, wird die Erfahrung dennoch immer einmalig sein. 

Die Aufgabe des Gastgebers besteht darin, sich aufrichtig und sorgfältig um den richtigen Ablauf dieser besonderen Zeremonie zu kümmern. Die Gäste wiederum sollten ihrem Gastgeber Respekt zollen, „als ob es ein Treffen wäre, welches nur einmal im Leben stattfinden könnte“ – wie Rikyūs Schüler Yamanoue Sōji (山上宗二)  in seiner Chronik Yamanoue Sōji ki  (山上宗二記) schreibt.

Kurz gesagt: der Anspruch, dass jede einzelne Begegnung perfekt ist und mit Achtsamkeit und Wertschätzung arrangiert wird.

Omotenashi von außerhalb Japans verstehen

Betrachtet man die stark ritualisierten Abläufe der Teezeremonie und die strengen sozialen Beziehungen in Japan, dann wird klar, dass Omotenashi auf anderen soziokulturellen Grundlagen basiert als die westliche Form von Gastlichkeit in der Hospitality-Branche.

Unterschiede zu westlichen Vorstellungen von bedingungslosem Service

In unserem, dem westlichen Kulturkreis wird das Verhältnis zwischen Gast und Gastgeber bzw. Kunde und Unternehmen häufig durch die Metapher „Der Kunde ist König“ beschrieben. 

Diese geläufige Floskel impliziert allerdings nicht nur den Anspruch, alle Kundenwünsche mit absolutem Zuvorkommen zu erfüllen. 

Die „Kunde-ist-König-Metapher“ drückt auch ein hierarchisches Verhältnis aus: Der König steht über allem – seien es nun Personen, Probleme oder Angelegenheiten – er hat immer recht und alle anderen Beteiligten sind lediglich Untertanen, die im Zweifel gehorchen müssen. Die Beschwerden eines Königs sind stets legitim und alle seine Wünsche werden erfüllt. Selbst bei unangemessenem Verhalten wird er noch höflich behandelt. 

Den Kunden als König zu sehen, heißt daher, seine Bedürfnisse über die des Gastgebers, des bewirtenden Hauses und dessen Mitarbeiter zu stellen. 

Und so kommt es zuweilen vor, dass Gäste aus dem westlichen Kulturkreis sich zu einem gewissen Anspruchsverhalten berechtigt fühlen. Man tritt zuweilen forsch auf, weil man einen gewissen Service erwartet, eine bestimmte Vorstellung hat, der Gastgeber, das Restaurant oder das Hotel ist dafür da, die Vorstellung zu erfüllen, es dem Gast recht zu machen.

Im Gegensatz dazu treten japanische Gäste in Japan mit viel mehr Demut in ein Etablissement ein – auch symbolisiert durch die fast erzwungene Verbeugung, wenn man ein Restaurant oder Ryōkan durch einen mit Noren geschmückten Eingang betritt.

Omotenashi bedingt gegenseitigen Respekt auf Augenhöhe

An dieser Stelle stößt das japanische Verständnis von gutem Service zuweilen mit dem westlichen Verständnis von gutem Service, beispielsweise in der Gastronomie, zusammen.

Ein solches Verhältnis zwischen Gast und Gastgeber widerspricht dem partnerschaftlichen Verständnis von Omotenashi zutiefst. 

Denn in der Tradition der Teezeremonie sind Respekt und Achtsamkeit stets eine gegenseitige Angelegenheit, bei der Gast und Gastgeber gleichermaßen Verantwortung für ein zufriedenstellendes Ergebnis tragen. Im Teehaus, im Angesicht der rituellen Teezeremonie, sind sozusagen alle gleich. Japanische Gäste treten erfahrungsgemäß in der Regel anders auf, vorsichtiger, respektvoller gegenüber dem jeweiligen Gastgeber und den Gepflogenheiten. 

Um Omotenashi also aus dem europäischen oder westliche Blickwinkel richtig zu verstehen, muss man den Kontext, in dem es in Japan ausgeübt wird, einbeziehen: eine stark ritualisierte Gesellschaft, in der die gegenseitige soziale Beziehung oft von vielfältigen Normen beeinflusst und das Einhalten von umfangreichen Verhaltensregeln erwartet wird. Das stereotype Bild der aussergwöhnlichen Freundlichkeit der Japaner besteht also auch im Kontext der wertschätzenden Gäste, die mit Respekt und Anerkennung dem Bemühen des Gastgebers bzw. den Gepflogenheiten des Hauses gegenübertreten.

Plakativ gesagt: kein Japaner würde jemals als Gast anfangen, sich bei einer traditionellen Teezeremonie gehen zu lassen, die Füsse von sich strecken und zu tun, wonach ihm gerade beliebt oder womit er sich gut fühlt.

Ebenso würde ein Gast in einem japanischen Sushi-Restaurant nicht einfach anfangen, sich selber Stühle und Tische zurechtzurücken, wie er es sich gerade vorstellt, ohne etwa mindestens das Personal vorsichtig zu fragen. All das widerspräche dem grundlegenden Gedanken der Harmonie (Wa) in der japanischen Gesellschaft, die ja eben auch gerade zentraler Bestandteil der japanischen Küche Washoku ist.

Omotenashi funktioniert in der japanischen Kultur also nicht als Einbahnstraße, sondern setzt ein respektvolles Verhältnis auf Gegenseitigkeit voraus: der Gast respektiert und wertschätzt die Bemühungen des Gastgebers, der Gastgeber wird alles dafür tun, dass der Gast sich wohlfühlt und unauffällig-aufmerksam bedient wird.

Omotenashi geschieht im Kontext sozialer Verhaltensnormen

So kann man in Japan sich als Gast außergewöhnlich umsorgt und willkommen fühlen — solange man die Regeln der Gastgeber respektiert und sich im Rahmen der Erwartungen bewegt. 

Verlässt man diesen Rahmen und erscheint respektlos gegenüber den Bemühungen der Gastgeber, so kann man sehr schnell eine ganz andere Seite japanischen Verhaltens erleben: der herausstehende Nagel wird eingeschlagen – wer nach Meinung der Gruppe (deren Meinung meist von Normen oder dem hierarchisch höhergestellten bestimmt wird) sich „falsch“ verhält, der wird auch schnell sehr hart isoliert und zuweilen nichtmal mit einem Mindestmaß von Respekt nach westlichen Maßstäben behandelt.

Natürlich wird dieser Erwartungsrahmen für Gäste und Besucher aus dem Ausland gerne oft sehr ausgedehnt. Denn selbstredend wissen die Japaner, dass ihre Gesellschaft komplex und kompliziert ist (siehe „ware ware Nihonjin“). Jemand, der nicht zu dieser Kultur gehört und in das soziale System eingebunden ist, wird immer anders beurteilt werden, vielleicht auch niemals in diesem Sinne Teil der dortigen Gesellschaft sein können. 

Man denkt sich aber seinen Teil und auch der dem ausländischen Gästen zugestandene Erwartungsrahmen hat Grenzen in seiner Ausdehnung.

Daher ist ein wahres Verständnis von „Omotenashi – Gastfreundschaft auf „Japanisch“ nur möglich im Kontext der Regeln und Erwartungen, die in der japanischen Gesellschaft mit ihren oft stark ritualisierten, komplexen sozialen Verbindungen herrschen.

Omotenashi im japanischen Alltag erleben

Der Geist von Omotenashi geht weit über die Stille des Teehauses hinaus und lebt bis heute in der modernen japanischen Gesellschaft weiter. 

Ob beim Einkauf, im Hotel oder Restaurant – stets wird der Kunde mit Respekt, Hingabe und Aufmerksamkeit bis ins kleinste Detail behandelt. Auch wenn manche Unternehmen ihren Mitarbeitern exakte Verhaltensregeln für den Umgang mit Kunden an die Hand geben – Omotenashi ist kein Regelwerk, sondern eine Haltung, die auch im heutigen Japan das Fundament jeder Begegnung zwischen Gastgeber und Gast bildet. 

Omotenashi im Ryokan: Zuhause ankommen

Eine besondere Erfahrung traditioneller japanischer Gastfreundschaft kann man als Gast im Ryokan (旅館) erleben. Hochwertige Herbergen wurden bereits in der Edo-Zeit (江戸時代, Edo Jidai, 1603 bis 1868) als Ryokan bezeichnet. Die traditionellen Gasthöfe, in denen der Gast in der Regel auch seine Mahlzeiten einnimmt, operieren noch immer wie vor 100 Jahren. In einem Ambiente von vollendeter Eleganz und bescheidener Zurückhaltung, welches alle Sinne anspricht, umfasst Omotenashi den gesamten Auftritt – von der Kleidung der Mitarbeiter bis zur Auswahl der Speisen. 

Das drückt sich auch dadurch aus, dass alle Gäste im Ryokan üblicherweise einen vom Haus bereitgestellten Yukata (浴衣, „Badekleidung“, eine Art leichter Kimono) anziehen und damit auch Hierarchie-Ebenen zu verschwinden scheinen. 

Der Gast soll sich im Ryokan so fühlen, als ob er nach Hause zurückkehrt – das Verständnis für seine Person, seine Vorlieben und Erwartungen stehen dabei im Vordergrund.  

Omotenashi in diesem Sinne benötigt keine Formalismen, sondern entsteht durch eine Kommunikation von Herzen und die Begegnung von Mensch zu Mensch. Ein traditionelles Ryokan in Japan ist oft die beste Möglichkeit, Omotenashi zu erleben.

Omotenashi in der Gastronomie

Perfektion und Liebe fürs Detail bei der Zubereitung der Speisen und ihrer Präsentation – in der japanischen Gastronomie ist der Geist von Omotenashi allgegenwärtig. 

Wie von Rikyū beschrieben, haben der Wechsel der Jahreszeiten und die damit einhergehenden Veränderungen seit jeher eine besondere Bedeutung in Japan – wie das Ereignis der Kirschblüte (桜の花 Sakura no hana) eindrucksvoll zeigt. 

Diese Sensitivität findet sich auch in der japanischen Küche. Denn um die subtilen Geschmacksveränderungen während der Saison zu genießen, wird zwischen Zutaten, die früh in der Saison auftauchen (はしり Hashiri), saisonalen Zutaten (旬 Shun) und Resten (名残  Nagori) unterschieden. 

Der Gast soll dadurch die gesamte Bandbreite der Natur mit seinen Sinnen erleben – ganz im Sinne von Rikyūs Konzept der „wilden Blumen“. Demzufolge ist natürlich auch die Bewirtung eine ästhetische Angelegenheit, für die kein Aufwand gescheut wird. Geschirr und Dekoration der Speisen werden gerne nach Jahreszeit ausgewählt. (vgl. der Aufwand, den wir für unsere Kaiseki-Events betreiben)

Während Glas im Sommer für eine kühle Atmosphäre sorgt, schaffen dicke Keramik und warme Farben im Winter eine behagliche Atmosphäre. 

Diese Aufmerksamkeit für Details und die sogar saisonale Anpassung von Geschirr tritt auch sehr deutlich zutage in der japanischen Haute Cuisine, dem Kaiseki, welches auch wesentliche Entwicklungsparallelen mit der Entwicklung der Teezeremonie aufweist.

Omotenashi beim Einkauf

Wer in Japan unterwegs ist, begegnet der besonderen japanischen Gastfreundschaft an jeder Ecke. 

Aus dem Bewusstsein heraus, dass Kunden immer eine Wahl haben, werden selbst einfachste Tätigkeiten zu einer Geste des Respekts und der Dankbarkeit – beim kunstvollen Verpacken eines Geschenks, der ästhetischen Gestaltung einer Auslage, der Zugabe von Eis beim Kauf wärmeempfindlicher Lebensmittel oder dem Überreichen eines simplen Kassenbons auf einem Tablett. 

Omotenashi erfindet sich auch im modernen Japan immer wieder neu – eine jüngere Aufmerksamkeit besteht darin, die Papiertüte nach dem Einkauf zu versiegeln. Dabei wird das Ende des Klebebandes leicht umgeschlagen, um dem Kunden das Öffnen zu erleichtern.

Beginnt es während eines Einkaufs im Kaufhaus zu regnen, kann es passieren, dass die Hintergrundmusik plötzlich wechselt – und durch die Wahl des Musikstückes subtil auf den Regen hinweist. Dadurch können Mitarbeiter auch in der (fensterlosen) Umgebung eines Kaufhauses das Einkaufserlebnis für ihre Kunden angenehmer gestalten, indem sie z.B. die Papiertüten zum Schutz vor Regen kostenlos mit Plastik überziehen. Dafür zu sorgen, dass der Kunde den Laden mit einem bestimmten guten Gefühl verlässt – das ist Omotenashi.

Omotenashi bedeutet also, dass man als Gastgeber, Geschäft, Dienstleister sehr stark versucht, für den Gast mitzudenken, ihm entgegenzukommen und ihm eine von Herzen willkommene, angenehme Erfahrung zu bereiten.

An der Oberfläche manifestiert sich Omotenashi als herzliche Freundlichkeit gegenüber Gästen und Achtsamkeit auf kleine Details

Omotenashi als natürlicher Teil des Lebens

In Japan ist Gastfreundschaft ein natürlicher Bestandteil des Lebens und erwartet keine Gegenleistung. 

Daher ist es auch nicht üblich, ein Trinkgeld zu geben. Wer sich dennoch einmal von Herzen bedanken will, hat die Möglichkeit des Kokorozuke (心付け) – einem Ausdruck tiefster Dankbarkeit, indem das Herz (心 kokoro) „hinzugegeben“ (付ける tsukeru) wird.     

„Die Harmonie zu respektieren“, wie Shōtoku Taishi bereits vor mehr als 1400 Jahren schrieb, macht bis heute den Zauber von Omotenashi aus – seit jeher die Garantie für ein reibungsloses menschliches Miteinander im dicht besiedelten Inselstaat Japan.

Dadurch dass Omotenashi keine Einbahnstraße ist, sondern in beide Richtungen wirkt, hilft diese besondere Form der Gastfreundschaft bei einem respektvollen Umgang und erfreut das Herz der Menschen in Japan, die oft in einem engen sozialen oder räumlichen Korsett eingezogen sind. Omotenashi als Gesinnung ist ein Ausdruck besonderer Achtsamkeit um den Gast, der das japanische Serviceverständnis dramatisch von dem Serviceverständnis in Deutschland unterscheidet.

Omotenashi in den Medien

Hier finden Sie noch einen schönen, aber etwas in die Jahre gekommenen Bericht über Omotenashi, der das Thema ein wenig streift, dann aber auch mit anderen Themen zu vermischen scheint:

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